· 

Nach der Reise ist vor der Reise - Kaiserstuhl und Bienenfresser

Meine Hüfte wurde immer schlimmer und ich konnte fast nicht mehr laufen, geschweige denn mein Bein anheben, was dazu führte, dass ich ziemlich betröppelt auf dem Platz saß und mir schlagartig bewusst wurde, was es heißt, in solch einem Moment alleine zu sein.  Ich hatte größte Schwierigkeiten in mein Hochbett zu kommen und wieder von oben runter. Alles in allem war ich in dieser Zeit wirklich sehr nah am Wasser gebaut.
Am Mittwoch hatte ich dann einen Termin beim Osteopathen, in der Hoffnung, dass er mich wieder richten würde. Als ich meine Probleme schilderte und meine Aktivitäten der vergangenen paar Tage, wurde ich erst mal ein wenig kleinlaut, als mich die Therapeutin fragte, ob ich  Dehnübungen nach meinen körperlichen Ertüchtigungen gemacht hätte.  Sie war der Meinung, dass der Ursprung des Übels vom Rücken kam (kein Wunder bei dem Gewicht des Rucksacks), aber zusätzlich hatte ich noch eine Entzündung und dagegen konnte man nichts machen, außer abwarten und Ibuprofen einnehmen.  Da der Osteopath ca. 2km entfernt vom Campingplatz war, wollte ich mir ein Taxi rufen lassen, aber einer der beiden Angestellten war so lieb und hat mich hingefahren, mir seine Telefonnummer gegeben, damit er mich wieder abholen konnte, wenn ich fertig war.  Als ich ihm für die Fahrt Geld geben wollte, lehnte er ab, was mich zu Tränen gerührt hat.  Ich war schließlich wirklich auf Hilfe angewiesen und das sie einfach so kommen sollte, ohne Gegenleistung, das muss auch erst mal gelernt sein. Am nächsten Morgen fuhr mich mein nordirischer Nachbar zum Aldi, da meine Wasservorräte aus gingen. Das waren jetzt also meine neuen Lernaufgaben: Hilfe annehmen und Füße stillhalten. Nicht gerade meine Stärken.
Das Schöne an all dem war, dass man langsam die Leute kennenlernte und sich ein bisschen wie "zuhause" fühlte. Da waren die beiden Angestellten, mit ihren insgesamt vier Hunden. Ein Arbeiter, der in der Mittagspause immer zurück kam, ein Pensionär, der jedes Jahr immer eine große Schleife mit seinem Camper fuhr und dabei immer die gleichen Plätze ansteuerte. Abends saßen wir immer in geselliger Runde zusammen und wenn ich auch oft nur dabei saß, da sie meistens französisch sprachen, so war ich doch inzwischen voll integriert. Zum Fotografieren fehlte mir die Muse und das Einzige, was ich machen konnte, war da zu sitzen, lesen und abwarten.
Zum Wochenende hin wurde es langsam besser und am Montag Mittag bin ich dann Richtung Heimat aufgebrochen. Schweren Herzens hatte ich die Pläne in die Bretagne zu fahren, verworfen, da ich keine Experimente mit meiner Entzündung mehr machen wollte. Also fuhr ich auf die Autobahn Richtung Nordosten. Vichy war meine erste Übernachtung. Ich bin dort relativ spät angekommen und habe nichts mehr unternommen. Am nächsten Morgen ging die Fahrt weiter. Nächster Halt: Dijon. Ich kam am Campingplatz an und wollte ursprünglich noch die Stadt ansehen, stattdessen habe ich meinen fahrradfahrenden Nachbarn auf zwei Panaché (Radler) eingeladen und wir haben uns ein wenig unterhalten. Weiter ging die Fahrt Richtung Kaiserstuhl. Ich hatte mir eine Ortschaft namens Ihringen ausgesucht, von wo man in die Weinberge laufen konnte, in der Hoffnung zum Abschluss noch ein paar Bienenfresser zu sehen und ein paar Fotos zu machen. Als ich dort ankam, habe ich erst mal den billigen deutschen Diesel getankt. In Frankreich kostete er meist um die 1.65€ pro Liter. Bei den Frauen in der Tankstelle habe ich mich erkundigt, wo der Weg zu den Bienenfressern los geht und wo ich etwas Gutes zu essen bekommen könnte.  Die Beiden waren sehr hilfsbereit und ich war glückselig, mich mal wieder verständigen zu können. Es war kurz nach zwölf, ideal für ein Mittagessen. Ich hatte einen riesigen Salatteller in einem teuren Lokal und fühlte mich einfach nur gut. Als ich meinen Espresso bestellte, staunte ich nicht schlecht über den Spruch auf der Keksverpackung: "Noch nie hat jemand auf dem Sterbebett gesagt: "ich wünschte, ich hätte mehr Zeit im Büro verbracht"". Das war doch mein Spruch!
Danach parkte ich den Klawitterbus an der Schule, schraubte das Teleobjektiv auf die Kamera und stiefelte los. Es war sehr heiß und der Weg ging erst mal nur bergauf. Ich wundere mich immer wieder über mich selbst, was ich für Energien freisetzen kann, wenn es um Tiere und Fotografie geht. Es dauerte nicht lange bis ich die ersten Exemplare sah. Sie kreisten über mir und stießen ganz markante Schreie aus. Ich dachte so vor mich hin, dass das den Abschluss meiner Reise wirklich perfekt machte. Das Sahnehäubchen. Hinter den Bienenfressern bin ich schon lange her, aber ich hatte sie noch nie vor die Kamera bekommen. Also vertrieb ich mir die nächsten drei Stunden mit den Bienenfressern. Die Umgebung  am Kaiserstuhl ist ebenfalls erwähnenswert. Hier hat sich nach den letzten Eiszeiten jede Menge Löss abgelagert, das ist auch der Grund, warum die Bienenfresser hier zuhause sind. Sie benötigen die senkrechten Wände für ihre Bruthöhlen, die bis zu zwei Meter tief in den Wänden liegen. Da der Löss auch sehr fruchtbar ist und der Kaiserstuhl die wärmste Region Deutschlands ist, versteht sich der Anbau von Wein von selbst. Das Landschaftsbild besteht aus Weinterrassen, im Hintergrund befindet sich das Gebirge der Vogesen und des Schwarzwaldes, es gibt einige Hohlwege und über den Köpfen jagen die Bienenfresser nach Beute. Mit einer erstaunlich hohen Trefferquote. Als ich dann endlich genug hatte, mein Getränk leer war, die Schultern verbrannt, habe ich mich auf den Rückweg gemacht. Ihringen hatte sogar einen Campingplatz, den ich jetzt ansteuerte. Von außen nicht sichtbar, war ich doch überrascht über die Größe des Platzes und vor allem darüber, wie voll er war. Praktischer Weise gab es auch noch ein Schwimmbad, dass man mitbenutzen konnte, was mir nach dem Tag in den Weinbergen gerade recht kam. Jetzt war es also soweit, der letzte Tag war angebrochen und bei mir machten sich gemischte Gefühle breit. Auf der einen Seite war ich wirklich froh, wieder nach Hause zu kommen, auf der anderen Seite bedeutete es auch, wieder zurück in den "Ernst des Lebens" zu gehen.
Die letzten 301km bis nach Hause waren überhaupt kein Spaß. Es war fast unmöglich mit dem Camper die noch langsameren LKWs zu überholen. Da war es also wieder: Krieg auf der Autobahn. Nach kurzer Zeit stand ich schon im Stau.  Das hatte ich die letzten beiden Monate nicht vermisst. Nach einer sehr langen Fahrt kam ich zuhause an und war recht erstaunt, über den vielen Platz in meiner Wohnung. Der Mensch ist schon ein Gewohnheitstier.

 

Fazit:
Gefahren bin ich 5046 (in Worten: fünftausendsechsundvierzig) Kilometer, ich war 69 Tage unterwegs, ich hatte weder eine Panne noch war ich in einer brenzligen Situation. Alles worüber wir Kopfmenschen uns Gedanken machen, ist nicht eingetreten. Ich habe gelernt, wieder mehr auf mein Bauchgefühl anstatt auf meinen Kopf zu hören. Ich habe unterwegs sehr viele tolle Menschen kennengelernt, einige von Ihnen haben mich zu sich nach Hause eingeladen. Ich habe ihnen zugehört und konnte von jedem Einzelnen etwas mitnehmen. Was ich anfangs über die entspannten Schweizer festgestellt habe, kann ich über die Bewohner der anderen Länder gerade so bestätigen. Die Franzosen zum Beispiel wissen ihr Leben zu genießen. Zum Mittagessen gibt es ein Gläschen Wein oder ein Bier und dann ist erst mal bis vier Uhr alles geschlossen. An der Supermarkt Kasse wird immer ein Pläuschchen gehalten, das unter Umständen bis zu fünf Minuten dauern kann. Was mich zu einem Schmunzeln gebracht hat, da ich mir "uns Deutsche" vorgestellt habe, wie wir dem Vordermann mit dem Einkaufswagen in die Hacken fahren, damit es voran geht.  Das Abendessen wird über Stunden zelebriert und meistens sitzt man in großer, geselliger Runde zusammen. Die vorhandenen Sprachbarrieren in Spanien und Frankreich fand ich schade, aber ich habe wieder mal gesehen, dass man vieles auch ohne Worte klären kann.  Ich bin froh, dass ich mir diesen jahrelang gehegten Traum erfüllen konnte und ich glaube, dass man mit so einer Erfahrung weiter in seiner Persönlichkeit wachsen kann.  Ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit, dass ich diese Erfahrung machen durfte.
Ich kann das Reisen jedem ans Herz legen, in welcher Art und Weise auch immer. Die Erkenntnisse die man gewinnt, findet man nicht, wenn man im Hamsterrad läuft.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Jürgen (Mittwoch, 01 August 2018 22:35)

    Jambo Memsahib,
    Nach 260km Autobahn konnte ich jetzt endlich Deinen Block lesen. Da hast Du mal wieder etwas mitgemacht. Ich kann mich da an jemanden erinnern die sagte immer "mach was für Deinen Rücken". Und den Spruch aus der Kekspackung habe ich auch schon öfters gehört. ;-) Daher geht's bei mir in 2 Wochen los!

    Insgesamt wieder ein schöner Bericht. Die Bienenfresser sind klasse.

    Gruß Jürgen